Anders
Aus dir wird
nie ein richtiges Menschlein,
hat man als Kind ihm oft gesagt.
Du könntest viel mehr, wenn du
nur wölltest.
Immer vergisst du alles,
zeigst nicht das nötige
Interesse.
Dein Zappeln und Dein Hineingerede
stört.
Mit diesen bitt'ren Sätzen immer
wieder konfrontiert,
erhielt er als kleines Mäuschen
seine ersten Stempel.
Warum kann er nur nicht stille
sitzen?
Warum zappelt er so herum?
Warum muss er immer wieder auffallen
und stören?
Warum fühlt er sich so fit und
trotzdem immer ein Versagen?
Tickt er denn nicht richtig?
*
Er spürt die Blicke
rings um sich herum,
welche auf ihn gerichtet Bände
sprechen,
manchmal von Neid und Boshaftigkeit
durchsetzt,
manchmal einfach auch nur voller
Unverständnis.
Er spürt ihre Gedanken
und dass sie sich fragen:
Was ist das nur für ein Mensch?
Warum fällt er immer wieder
auf?
Warum hat er solche
Stimmungsumbrüche?
Warum langweilen ihn so manche
Gespräche?
Warum spricht er so
unverständlich und so schnell?
Tickt er denn nicht richtig?
*
Er hat doch alles,
was das Leben auszumachen scheint:
ein schönes Haus
und einen wunderbaren Garten.
Er geht täglich schaffen
findet Anerkennung in Beruf und
Wirken,
trinkt wenig und nimmt auch keine
Drogen.
Warum ist er dann so unzufrieden und
getrieben?
Warum ist er, von steter Unruhe
gequält, nicht glücklich?
Warum kann er sich nicht nur an den
kleinen Dingen freuen?
Warum spricht er so oft von
großen Dingen ohne
Erwähnung von Details?
Warum träumt er immer von
echten Verstehen?
Tickt er denn nicht richtig?
*
Einmal will er alles und sofort,
dann wieder scheint nichts von der
Hand zu gehen.
Er will die Anderen mitreisen,
doch erntet oft nur Unverständnis
und Fragen.
Er will verändern und neue Wege
einschlagen,
bekommt jedoch Probleme statt
Lösungen angeboten,
und wird durch Bedenkenträger und
Abwäger
im Vorwärtsdrängen und
Wachsen ausgebremst.
Warum erntet er immer
Kopfschütteln?
Warum können die Anderen Ihn
nicht wirklich begreifen?
Warum stoßen seine eigenen
Ideen ständig auf
Unverständnis und Widerstand?
Warum wird er so oft angegriffen
statt unterstützt?
Tickt er denn nicht richtig?
|
Er spürt die eigenen
Gefühle,
viel tiefer und stärker scheinbar
als Andere,
und zeigt sie auch spontan in aller
Öffentlichkeit,
ob es nun Liebe, Lachen oder Weinen
ist.
Dabei spürt er das Befremden
über sein Handeln
bei den Menschen um ihn her,
und liest auf ihren Gesichtern:
Das schickt sich nicht.
Warum ist er so impulsiv und offen?
Warum soll das Herz nach Außen
legen falsch sein?
Warum will niemand die Liebe offen
leben und zeigen?
Warum ist Gefühle Zeigen so
verpönt?
Tickt er denn nicht richtig?
*
Er schenkt Anderen Hilfe und Liebe,
kämpft für sie mit aller
Kraft,
gibt jedes mal sein ganzes Herzblut,
und geht dabei bis an seine Grenzen.
Doch oftmals wird der gute Kern
nur ausgenutzt und abfällig
getreten.
Nur selten folgt dem vielen Geben
auch einmal wahre Dankbarkeit.
Warum wird er so oft nur
ausgenutzt?
Warum wird das Geben so selten
erwidert?
Warum ist alles so
selbstverständlich?
Warum kommt so wenig zurück?
Tickt er denn nicht richtig?
*
Irgendwann im Leben
trifft er mit sehr viel Glück,
dann doch auf einzelne Menschen,
die genau so wie er selbst,
denken, fühlen, reden, schweigen,
die ihre Gefühle auch so offen
und ganz spontan zeigen und teilen,
die ganz wie er selbst zu sein
scheinen.
Warum sind sie genauso spontan und
lebensecht?
Warum können sie ihn so gut
verstehen?
Warum sind die gemeinsamen
Gespräche und Gedanken so
interessant und motivierend?
Warum fühlt er so eine tiefe
Seelenverwandtschaft mit ihnen?
Ticken sie denn auch nicht richtig?
*
Dann kommt Schritt für Schritt
die Erkenntnis,
ja, wir sind wohl anders,
wir sind nicht wie all' die Anderen
und wir fühlen auch nicht so,
unser Leben ist anders ausgerichtet,
und wir ticken schon ganz richtig,
denn unser Wesen wird nur in Frage
gestellt,
weil wir so wenige unter all' den
Anderen sind.
*
Darum werden wir weiter Liebe und
Hilfe schenken.
Darum werden wir weiter unsere
Gefühle offen zeigen.
Darum werden wir weiter spontan und
lebenslustig sein.
Darum werden wir weiter nach
großen Dingen und dem
Verstehen streben.
Weil wir anders, aber für uns
dennoch richtig ticken!
a.m.
|